Engagement als Brücke in die Gesellschaft
Maecenata-Studien zum Engagement geflüchteter Menschen vorgestellt
Geflüchteten Menschen, die sich bürgerschaftlich engagieren, fällt es oft leichter, in neuer Umgebung Fuß zu fassen. Dies ist das zentrale Ergebnis zweier Studien des Berliner Maecenata Instituts. Die Untersuchungen wurden von der Röchling Stiftung gefördert.
Während das breite Engagement der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei der Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen seit 2015 umfassend diskutiert wird und allenthalben hohe Anerkennung erfährt, nimmt das Engagement der Geflüchteten selbst bisher keinen breiten Raum in der öffentlichen Debatte ein.
Zu Unrecht, findet Dr. Rudolf Speth. Der Engagementforscher hat die Studien „Engagiert in neuer Umgebung“ und „Zivilgesellschaft und Kommunen“ für das Maecenata Institut recherchiert und verfasst, letztere zusammen mit Dr. Elke Bojarra-Becker.
Das Resultat seiner qualitativen Interviews mit Geflüchteten, Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen und Kommunen sei eindeutig. Wenn Geflüchtete die Möglichkeit haben, sich nicht bloß als Objekte des Engagements anderer zu begreifen, sondern selbst einen aktiven Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft zu leisten, helfe das dem Ankommen in mehrerlei Hinsicht: Beim Spracherwerb, beim Knüpfen von Kontakten und beim Aufbau eines stärkeren Selbstbewusstseins durch eine bewusst wahrgenommene Selbstwirksamkeitserfahrung. Nicht selten unterstütze das eigene Engagement damit auch den Weg in eine Erwerbstätigkeit.
Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen seien deshalb gefordert, niedrigschwellige Möglichkeiten für Engagement und Beteiligung von Geflüchteten zu schaffen, forderte Dr. Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecenata Instituts.
In dieser Handlungsempfehlung waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „1. Theorie trifft Praxis Forums“ in Mannheim einig. In anderen Punkten gab es reichlich Diskussionsbedarf. Im Rahmen dieses zweitägigen, von der Röchling Stiftung und Maecenata gemeinsam ausgerichteten Symposiums in Mannheim kamen Wissenschaftler und Engagement-Praktiker aus Verbänden, Flüchtlingsinitiativen und Kommunen zusammen, um die Perspektiven für eine erweiterte Auslegung und Umsetzung des Integrations-Engagements zu diskutieren.
„Ganz bewusst wollten wir die Grenze zwischen einer wissenschaftlichen Tagung und dem Austausch von Erfahrungswissen der Praktiker aufheben“, erläutert Annunziata Gräfin Hoensbroech, Vorsitzende des Kuratoriums der Röchling Stiftung. Allzu oft würden gesellschaftspolitische und soziologische Untersuchungen zwar lautstark in der Öffentlichkeit präsentiert, aber nicht hinreichend mit den Praktikern reflektiert. Letzteres sollte das neue Format ermöglichen.
Annette Wallentin, die derzeit bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen das Projekt „Teilhabe durch Engagement“ leitet, bestätigte die Befunde der Autoren. Sie beobachte, dass Integration in Kommunen mit einer gut ausgebauten Infrastruktur für bürgerschaftliches Engagement oft besonders gut gelinge. Die Stärkung der kommunalen Kompetenz sei eine daraus folgende Forderung an die Politik. Dem schloss sich auch Loring Sittler an, der als Engagement-Experte die Studienergebnisse kommentierte. Städte und Gemeinden würden zunehmend die Aufgabe haben, ein System der bürgerschaftlichen Hilfe zur Selbsthilfe zu organisieren, statt selbst Versorgungsangebote vorzuhalten.
Dr. Karin Stiehr, Chefin des Frankfurter Instituts für soziale Infrastruktur (ISIS) nahm auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Pflicht. Nicht selten stünde eine gut gemeinte Hilfsbereitschaft der notwendigen Augenhöhe gegenüber Geflüchteten im Wege – gerade, wenn es an die aktive Beteiligung dieser Gruppe gehe.
Der Soziologe Prof. Frank Kalter, Direktor des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES), lenkte den Blick auf die mittel- und langfristigen Perspektiven der Integration und skizzierte vier unterschiedliche Dimensionen von Integration: die kognitiv-kulturelle (Kenntnisse der Sprache und kultureller Codes), die strukturelle (Arbeits- und Bildungssystem), die soziale (Netzwerke) und die emotional-kulturelle (Werte). Die traditionelle Integrationsforschung, so Kalter, sehe die strukturelle Dimension als den anderen vorgelagert an.
Auf der Grundlage mehrerer Langzeitstudien mahnte der Mannheimer Wissenschaftler, die Grenzen gelenkter Integrationsmaßnahmen zu erkennen: „Die gute Nachricht: Integration vollzieht sich in vielerlei Hinsicht von selbst. Die schlechte: Das braucht viel Zeit.“
Eine These, die der Politologe Prof. Antonius Liedhegener von der Universität Luzern tags darauf kritisch aufgriff. Er definierte soziale Integration als den Prozess und Umfang, in dem Einzelne und Gruppen in wirtschaftlicher, sozialer, religiös-kultureller und politischer Hinsicht Teilhabe und Akzeptanz finden beziehungsweise gewähren. Dieser Prozess sei durchaus mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Maßnahmen zu unterstützen.
Am zweiten Tag des Symposiums stand der Zusammenhang zwischen Religion und Integration im Mittelpunkt. Dr. Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann Stiftung konnte anhand einer von ihr durchgeführten Studie belegen, dass Musliminnen und Muslime tatsächlich deutlich stärker in die Flüchtlingshilfe eingebunden waren als Angehörige anderer Religionen.
Die Abschlussdiskussion bestritten Andrès Otàlvaro vom Bundesverband Netzwerk der Migrantenorganisationen, Dr. Andrea Kühne, die Flüchtlingskoordinatorin der Stadt Neuenburg, Ahmad Chamsi Bacha, Student und Engagierter, und Dr. Georg Strasser, Unternehmer und Engagierter in der Flüchtlingshilfe.
Das Konzept des Theorie trifft Praxis-Forums ging auf, wie die regen Debatten in den anderthalb Tagen von Mannheim zeigten. „Aber Debatten sollten ja kein Selbstzweck sein. Wichtig ist, was am Ende dabei rauskommt. Und deshalb freut uns am meisten, dass viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach eigenem Bekunden konkrete Anregungen für ihre tägliche Arbeit mitnehmen konnten“, fasst Gräfin Hoensbroech zufrieden zusammen.