Polyproblem – Kauf dich frei

Der World Wide Fund for Nature (WWF) jedenfalls ruft zur Vorsicht im Umgang mit dem Begriff „Plastikneutral“ auf, da zum einen bisher noch keine einheitliche Definition für den Begriff existiert und zum anderen Konsumenten getäuscht werden könnten.45 Auch Hünemeyer weist darauf hin: „Auch wir haben erkannt, dass wir uns in der Kommunikation anders positionieren und nicht per se sagen wollen ‚Wir sind plastikneutral‘. Das könnte zu Verwirrungen führen, weil wir eigentlich nur durch die Zusammenarbeit mit der Plastic Bank plastikneutral sind, unsere Verpackungen aber oftmals weiterhin Plastik enthalten.“ Darüber hinaus fordert der WWF im Interesse der Transparenz, dass Angaben zu Kompensationsmaßnahmen auch Informationen über die Region enthalten sollten, in der das Plastik aus der Umwelt gesammelt wird, und darüber, um welche Art von Plastikmüll es sich handelt.46 Denn häufig werden Sammel- und Recyclingprojekte in Regionen finanziert, die nicht mit den Gegenden übereinstimmen, in denen die Auswirkungen der Kunststoffverschmutzung durch das jeweilige Unternehmen am größten sind. Oder aber es werden andere Kunststoffabfälle gesammelt als die, für deren Eintrag in die Umwelt die Unternehmen verantwortlich sind.47 Mit der Menge kommen die Risiken Insbesondere die großen Mengen an Kunststoffabfällen, die die großen Plastikproduzenten sammeln oder recyceln lassen müssten, um ihren gesamten Fußabdruck auszugleichen, stellen eine Herausforderung dar. Im Zuge dessen befürchten Experten, dass große Unternehmen sich den unregulierten Markt zunutze machen, um die Preise für Plastic Credits nach unten zu drücken, indem sie nur fünf oder zehn Prozent des aktuellen Preises zu zahlen bereit sind.48 Diese Entwicklung hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit des gesamten Kompensationsmarktes und den sozialen Mehrwert vieler Projekte. Setzt man die durchschnittliche Sammelkapazität von rund 5.410 Tonnen pro Projekt der mehr als 100 gelisteten Projekte aus dem Register von Circular Action Hub49 (Stand Oktober 2022) ins Verhältnis zu den drei Millionen Tonnen Plastik, die allein Coca-Cola jährlich produziert50, wird schnell ein Missverhältnis deutlich. Sofern Unternehmen denn wirklich gewillt sind, das notwendige Geld in die Hand zu nehmen, um solche großen Mengen zu kompensieren, müssen sie dafür mit Tausenden Projektanbietern zusammenarbeiten. Führt man die Kalkulation fort, wären für Coca-Cola circa 555 Projektpartner notwendig, um den gesamten jährlichen Plastik-Fußabdruck zu kompensieren.51 Aus dieser Beispielrechnung wird deutlich, dass echte Plastikneutralität über Kompensationsmaßnahmen selbst beim besten Willen kaum erreichbar ist. Mit der Anzahl an Kooperationsprojekten steigt aber auch das Compliance-Risiko mit Blick auf die Gewährleistung der Einhaltung sozialer und ökologischer Standards. An dieser Stelle kommen dann nicht selten wieder die Makler ins Spiel, die im Idealfall die Projekte in ihrem Portfolio auf die Einhaltung allgemeingültiger Standards und Grundsätze hin überprüft haben. Oder aber die Projekte lassen sich eigenständig für bestimmte Standards zertifizieren und können somit auf einen Wettbewerbsvorteil hoffen. Trotz Prüf- und Zertifizierungsmechanismen ist oftmals Vertrauen jedoch das Einzige, was vielen Unternehmen bleibt. Das konstatiert auch Schaebens-Manager Hünemeyer: „Man muss zugeben, dass der Markt sehr undurchsichtig ist und vieles vom Vertrauen der Käufer abhängt. Das liegt daran, dass es schwer ist, von hier aus zu überprüfen, was vor Ort passiert. Natürlich bekommt man Zertifikate, Bilder, Informationen, Zahlen und Geschichten von den Projektanbietern. Aber ohne Vertrauen geht es einfach nicht.“ 45 WWF (2021) 46 Ebd. 47 Dies gilt z.B. für Unternehmen, die flexible Kunststoffverbunde (Folien) verwenden, die meist schwer zu sammeln und kaum zu recyceln sind, dann aber ihren Plastik-Fußabdruck z.B. durch Kompensationsmaßnahmen im Bereich des Recyclings kompensieren. 48 Interviewaussage Vincent Decap, ZPO 49 Circular Action Hub (o.J.) (3) 50 The Guardian (2019) 51 Rechnung: 3 Mio. Tonnen / 5.410 Tonnen (durchschnittliche Sammelkapazität pro Projekt bei Circular Action Hub) = 555 29

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